Balkonpflanzen gestern und heute

Als architektonische Gestaltungselemente schmückten sie die Fassaden adeliger und später bürgerlicher Häuser. Von Pflanzen auf dem Balkon war jedoch jahrhundertelang nicht die Rede. Erst als im Zuge der Industrialisierung im 19. Jahrhundert immer mehr Menschen in die Städte zogen und so genannte Mietskasernen entstanden, wurden Pflanzen auf dem Balkon populär. Eben noch in ländlicher Umgebung, jetzt zwischen Wänden eingepfercht, entstand bei den neuen Stadtbewohnern der Wunsch nach ein bisschen Grün.
Viel Bunt für wenig Geld
Unter den Gartenpflanzen kristallisierten sich bald „Balkonhelden“ heraus, die sich bis heute großer Beliebtheit erfreuen. Die wichtigsten Vertreter seiner Zeit benennt Ernst Lissauer (1882–1937) in dem Gedicht „Balkone in der Vorstadt": „Aus Wein und aus Efeu geflochten Wände aus Grün, irdene Töpfe, drin rote Geranien und Fuchsien blühn". Eine derartige Bepflanzung war damals schon für einen geringen Preis zu haben. Als ausdauernde, winterharte Pflanzen sorgten Wilder Wein und Efeu zudem Jahr für Jahr für frisches Grün. Geranien und Fuchsien wurden überwintert und blühten in jedem Sommer aufs Neue. Die meisten Häuser hatten kühle Keller oder ungeheizte Zimmer, die ideale Bedingungen für Winterquartiere boten.
Wilhelminische Standardbepflanzung
Neben Fuchsie und Geranie waren auch Petunien sehr beliebt. Als ausdauernd und pflegearm bewährte sich auch die Fette Henne (Sedum spectabile). Auf Balkon-Fotos aus wilhelminischer Zeit kann man häufig diese sukkulente Staude entdecken. Oleander schmückte mit seinen Blättern und Blütendolden größere Balkone, oft gesellten sich die unverwüstliche Schusterpalme (Aspidistra) und der Zimmerspargel (Asparagus) dazu. Von einer "unvergesslichen Bepflanzung" eines Kölner Fensterkastens schwärmte eine Leserbriefschreiberin des "Praktischen Ratgebers im Obst- und Gartenbau" aus dem Jahr 1913: "Als Hängepflanze war Asparagus sprengeri verwendet, zur Umkränzung Cobaea scandens, und der Asparagus war so üppig, dass er nicht nur die Fensterkästen völlig füllte und zu einem grünen Wall formte, sondern dass er seine graziösen Ranken noch tief herab hängen ließ".
Vielfalt macht das Leben schön
Natürlich gab es noch viele weitere Möglichkeiten der Balkonbepflanzung, aber die anderen Arten waren längst nicht so beliebt. Hanna Kronberger-Frenzen beklagte in ihrem Buch „Glück mit Blumen" aus dem Jahr 1938: „Für sie (die Balkonbepflanzung) hat sich im Laufe der letzten Jahrzehnte beinahe eine feste Tradition gebildet, die leider einer gewissen Einheitlichkeit nicht entbehrt; Geranien und Petunien blühen hier um die Wette vom Frühsommer bis in den späten Herbst hinein.“ Hanna Kronberger-Frenzen regte bunte, abwechslungsreiche Balkonkästen an, für die sie Cobea, Lobelien und Kapuzinerkresse genauso empfahl wie Fuchsien und niedrige Balsaminen (Impatiens). Richard Maatsch, um 1930 Garteninspektor in Berlin-Dahlem, riet zusätzlich zu Knollenbegonien, Gebirgshängenelken, Pantoffelblumen, Leberbalsam und Studentenblumen. Außerdem führte er Eisbegonien (Begonia semperflorens), Feuersalvien, Männertreu, duftenden Heliotrop und Verbenen als besonders geeignet für Balkone an. Sie alle sind inzwischen zu Klassikern der Balkonbepflanzung geworden.
So aktuell wie eh und je
25 Jahre später machte Fritz Encke, Direktor des Frankfurter Palmengartens, in seinem Büchlein „Pflanzen für Zimmer und Balkon" Mut zu noch größerer Vielfalt. Er erwähnte u.a. die Schönmalve (Abutilon), die gerade wieder in Mode kommenden Buntnesseln (Coleus) und das Wandelröschen (Lantana). Als rankendes Gewächs empfahl er den Sommerefeu (Mikania), der gerade wieder ein Comeback erlebt. Die Kapaster (Felicia), vor wenigen Jahren als „Neuheit" bewundert, das jetzt wieder brandaktuelle Zigarettenblümchen (Cuphea ignea) und die zierliche Schlingerin Maurandie (Asarina scandens) zählten schon damals zu seinen Favoriten.
Blühende Oasen in der Stadt
Alles schon mal da gewesen, könnte man meinen, wenn man in dem Buch blättert. Aber längst nicht alles hat sich damals auch wirklich durchgesetzt. Zu den Schwächen, die die Experimentierfreude der Balkonbesitzer dämpften, gehörten zu lange, wenig verzweigte Triebe, unzureichende Blühsicherheit und wenig attraktive Farben. Gezielte Züchtung und Selektion musste das Bild der Pflanzen erst verändern, bevor sie die Gunst der Balkonbesitzer erwarben. Heutzutage ist die Vielfalt der Balkonpflanzen kaum noch zu überblicken und die Auswahl wird in jedem Frühjahr größer. Zu den beliebten Klassikern gesellen sich neue Arten wie Scaevola, Schneeflockenblume, Bidens, Angelonien. Andere Arten tauchen in neuem Gewand auf, wie die überreich blühenden Hängepetunien, kompakte, hängende Löwenmäulchen oder üppig blühende Nemesien. Sie alle verlocken während der Balkonsaison zum Ausprobieren und die Lust der Balkonbesitzer am Spiel mit Blüten und Blättern, mit aufrechten Arten, mit Schlingern, Rankern und Ampelpflanzen wächst von Jahr zu Jahr. Kein Wunder, dass sich immer mehr Balkone zu kleinen Pflanzenparadiesen wandeln und das Grau der Städte wohltuend durchbrechen.
Bild: CMA
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