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Haus und Wohnung für die Familie

buchtipps aus der redaktion

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Spätestens wenn sich das zweite Kind ankündigt, entscheiden sich viele Familien zu bauen.

Keinen Ärger mehr wegen der dreckigen Gummistiefel im Hausflur, gelassen zuschauen, wenn der Bobbycar zum x-ten Mal über den Dielenboden poltert, die Kinder zum Austoben einfach in den Garten schicken ? all das und vieles mehr verleiht dem Traum vom eigenen Heim, womöglich im Grünen, einen unwiderstehlichen Flair. Doch oft dauert es nur ein paar Jahre, bis das strahlende Bild immer mehr verblasst. Die Kids wollen gar nicht in den Garten, sondern zum Sport oder ins Kino, die Hausfrau könnte längst schon wieder stundenweise in den Job zurückkehren, wären da nicht die weiten Wege. Sind die Kinder erst mal vollends aus dem Haus, steht jede Menge Wohnraum leer, oft ohne Chance die überflüssigen Quadratmeter sinnvoll umzunutzen. "Wir denken oft nur aus dem Moment heraus", sagt die Stuttgarter Architektin Odile Laufner, "doch Häuser werden eben nicht nur für die nächsten zehn Jahre gebaut, zumindest nicht in unseren Breitengraden". Auch regelmäßiges Umziehen, je nach Lebenslage, ist in Deutschland, insbesondere im Alter, noch nicht üblich.

Gute Gründe, den zyklischen Wandel im Leben ins Denken, Planen und Bauen einzubeziehen. Ganz neu wäre dies nicht, wurde doch bereits in den 70er Jahren das Schlagwort vom flexiblen Grundriss geprägt. Damals gab es erste Ansätze, Wohnungen etwa durch Faltwände anpassungsfähiger zu gestalten. Das war noch ein bisschen hilflos, erinnert sich Odile Laufner, die mit der Architektin Monika Ernst ein gemeinsames Architekturbüro betreibt, man habe den Ansatz aber leider damals nicht weiterverfolgt.

Immer mehr Singles

Nicht nur den Wandel im Mikrokosmos Familie heißt es schon in der Planung zu berücksichtigen, sondern auch die enormen Veränderungen, die die Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten geprägt haben. So entscheidet sich heute bereits jede dritte Frau für ein Leben ohne Kinder, hat Odile Laufner recherchiert, vor dreißig Jahren habe erst jede elfte Frau dies geplant. Die Zahl alleinlebender Frauen im Alter von 25 bis 35 Jahren ist in den alten Bundesländern nach Angaben von Infratest (1991) im Zeitraum von 1972 bis 1990 um das Vierfache angestiegen, die Zahl der Frauen zwischen 35 und 46 Jahren, die als Singles leben, hat sich nach diesen Angaben im gleichen Zeitraum verdoppelt. Es gibt immer mehr Ein-Personen-Haushalte - in der Stadt liegt ihr Anteil bereits bei durchschnittlich 60 Prozent. Nicht zuletzt sieht der Lebensentwurf von Frauen mit Kindern immer öfter den möglichst raschen Wiedereinstieg ins Berufsleben vor. Für Abweichungen von der traditionellen Haushaltsform -. Vater, Mutter, ein bis zwei Kinder - sorgen zudem Scheidungen und daraus resultierend Alleinerziehende oder Patchwork-Familien als potentielle Wohnungssuchende. Unter diesen Umständen ist es nicht nur eine soziale Frage, für jede dieser Teilmengen der Gesellschaft ein passendes Wohnumfeld anzubieten. Es ist auch eine ökologisch hochrelevante Aufgabe, der Wohnraumverschwendung aufgrund mangelnden Angebots für Einzelpersonen und Kleinstfamilien vorzubeugen.

Primat der Funktion

Höchste Zeit also, die Standard-Familie als Zielbeschreibung mit Vorsicht zu betrachten und schon bei der Gebäudeplanung den Wechselfällen des Lebens Aufmerksamkeit zu schenken und mit Blick auf die Nutzer möglichst flexibel zu planen. Doch das fällt nicht immer leicht, zumal die Konzentration auf die Bedürfnisse der Bewohner und die gewünschte Multifunktionalität der Räumlichkeiten, mitunter die künstlerische Freiheit des Architekten beschneiden kann. Doch schon Eileen Gray, die von 1878 bis 1976 lebte und als Möbeldesignerin und Architektin arbeitete, mahnte ihre Kollegen: "Die Avantgarde-Architekten interessieren sich anscheinend vor allem für die äußere Formgestaltung auf Kosten der inneren. Als ob ein Haus mehr zum Vergnügen der Augen als für die Bequemlichkeit seiner Bewohner entworfen werden soll ... Es geht nicht einfach darum, mit schönen Linien eine Umgebung zu konstruieren, es geht vor allem darum, Heime für Menschen zu schaffen."


Frauenzentrierte Planung

Für das Projekt "Frauenzentrierte Planung von Wohnen und Wohnumfeld" haben die Architektinnen Odile Laufner und Monika Ernst ihre Kolleginnen aufgefordert, Beispiele ihres Schaffens einzusenden  und eine Sammlung von Bauwerken erhalten, die in ganz besonderem Maße den Nutzer in den Mittelpunkt der Planung stellt, wie den Architektinnen bei der Durchsicht der Zusendungen auffiel. Wie ein roter Faden zieht sich der Gedanke des flexiblen Grundrisses durch viele Bauten, die im Projekt-Abschlussbericht "Wohnungsbau. Beiträge von Architektinnen" veröffentlicht wurden. In dem ein Jahr später erschienenen Bildband "Architektinnen bauen Wohnräume" von Odile Laufner und Monika Ernst werden dieser Sammlung weitere Beispiele - diesmal in Farbe - hinzugefügt.


Grundsätzlich gibt es drei unterschiedliche Ansätze, die gewünschte Flexiblität in der Bausubstanz zu verankern: Durch Flexibilität innerhalb der Wohnung, durch Abtrennbarkeit von Gebäudeteilen oder aber durch die Einplanung verschiedener Ausbaustufen. Die einfachste Möglichkeit, ohne große Umbaumaßnahmen Varianz in die Wohnung zu bringen, ist es, die Umnutzung von Räumen zu erleichtern. "Wir schlagen oft vor", erklärt Odile Laufner, "in Häusern, wo Kinder erstmal ein eigenes Zimmer für sich haben sollen, zwischen zwei kleinen Räumen eine beidseitig nutzbare Schrankwand einzuplanen". Werden die beiden Zimmerchen nicht mehr benötigt, könne mit vernachlässigbarem Aufwand die Barriere teilweise oder ganz entfernt werden. Bedingung für diese einfache Lösung ist allerdings, dass bereits bei der Fassadengestaltung, insbesondere der Fensterplanung, an beide Nutzungsformen gedacht wurde.

"Eine besondere Variante der Umnutzung innerhalb der Wohnung oder des Hauses", schreibt Laufner im Projekt-Abschlussbericht, "ist die Abkopplung beziehungsweise Integration eines Arbeitszimmers". Beim Projektbeispiel Wohnbebauung Bachstraße in Sindelfingen wurde diese Idee aufgegriffen: In einigen Wohnungen sind ein Büro- oder Arbeitszimmer mit WC und Dusche abkoppelbar und mit einem separaten Eingang versehen. Doch nicht genug der Flexibilität: Die Küche kann außerdem zeitweise vom Ess- und Wohnraum abgeschlossen werden, potenziell ist es möglich, durch Einziehen einer zusätzlichen Wand im Hauptwohnraum, so lange wie gewünscht, ein weiteres Zimmer bereitzustellen.

Etwas mehr Eingriff in die Bausubstanz kann es bedeuten, wenn eine Wohnung mit einer weiteren Wohnung im Bedarfsfall verbunden werden soll. Bei einer Kasernenumnutzung lösten die Tübinger Architektinnen Rosy Noenen, Brigitte Cramer und Sigrid Haug diese Aufgabe elegant, indem sie zwischen die beiden Wohnungen Gemeinschaftsräume einschalteten, die den Zusammenschluss der beiden Appartements ohne Probleme ermöglichen. Bereits in die Planungsphase des Projektes wurden die zukünftigen Nutzer miteinbezogen.

Starterhaus zur Familiengründung

Für junge Familien kann auch der Bau eines Starterhauses interessant sein. Was mit einer vielleicht bereits finanzierbaren Wohnung beginnt, kann bei Familienzuwachs mit einem Haus enden. Das wachsende Haus oder das Kernhaus wird angepasst an die familiäre Situation einfach aufgestockt, oder wenn sich die Familie verkleinert, auch wieder zurückgebaut. Bei den von der Architektin Gisela Kaiser geplanten Reihenhäusern in Bamberg mit einer Hauptwohnung und einer Einliegerwohnung wurde der Wandel zum Prinzip gemacht: Die schmalen, dreistöckigen Reihenhäuser können als Zweifamilienhaus, als Mehrgenerationenhaus, oder als großzügiges Wohngemeinschafts- oder Einfamilienhaus mit bis zu 184 Quadratmetern genutzt werden. Wenn die volle Quadratmeter-Kapazität zu groß wird, etwa weil die junge Generation das Haus verlässt, ist eine Aufteilung in zwei Wohnungen von etwa 100 und 45 Quadratmetern möglich. Das Geheimnis dieser Flexibilität liegt vor allem in der Treppe, die an einer Außenwand geplant wurde und sowohl als interne Treppe oder als neutrales Treppenhaus genutzt werden kann (s. Buch "Architektinnen bauen Wohnhäuser"). Generelles Planungsziel war bei diesem Projekt unter anderem auch die ökologisch gebotene hohe bauliche Dichte?

Gegen starre Strukturen

Zahlreiche Beispiele zeigen eindrucksvoll, dass flexibles Bauen sehr oft machbar ist ? sogar ohne oder mit nur geringem Komfortverlust. Allerdings können nicht immer alle Ziele in vollem Umfang realisiert werden. Insbesondere, wenn Flexibilität im Nachhinein, mittels Anbau oder Aufstockung, erzwungen werden soll, kann die optische Qualität einige Federn lassen. Auch das zeigen die Architektinnen Laufner und Ernst in ihrem Buch ungeschminkt. Aber gerade diese Projektbeispiele, die vom ?Kampf? gegen starre Strukturen zeugen, der zumindest für den Nutzer und seine Bedürfnisse siegreich beendet wurde, haben den Beifall des Betrachters verdient. Hier haben die beauftragten Architektinnen, ganz im Sinne einer Eileen Gray, die Selbstverwirklichung hinten angestellt und statt dessen tapfer das Beste aus der Situation zugunsten ihrer Klienten gemacht. Vielleicht kein Zufall, dass gleich mehrere solcher Beispiele in einem Buch zu finden sind, in dem ausschließlich die Bauwerke von Architektinnen zu sehen sind.

Autorin: Iris Lehmann
Text: BUND 2002 Ökologisch Bauen und Renovieren
Fotos: djd, Akzo Nobel, Gutmann
bauen. wohnen. leben.www.homesolute.com

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